Page 24 - IEG-JB2023
P. 24
DEN TOD INS LEBEN ZIEHEN. »MINHAG ITALIA«: DIE VERHANDLUNG
VERGLEICHENDE PERSPEKTIVEN AUF DEN DER JÜDISCHEN MODERNE IM
PROTESTANTISCHEN UMGANG MIT DEM 19. JAHRHUNDERT DURCH DAS PRISMA
TOD ZWISCHEN DESAKRALISIERUNG DER ITALIENISCHEN GEBETBÜCHER
UND RESAKRALISIERUNG (1580–1750)
Alessandro Grazi
Benedikt Brunner 2018–2023
Seit 2018 Institutionelle Förderung
Institutionelle Förderung
Kann uns ein jüdisches Gebetbuch etwas über die
Sanft und selig sterben: das Projekt erforschte die jüdische Gemeinschaft, zu der es gehört, sagen?
Hintergründe dieses Ideals und untersuchte, wie Können wir es als historische Quelle nutzen? Ja,
sich Sterben in der Lebenswelt der Menschen im dieses Projekt ist davon überzeugt.
früh neuzeitlichen Europa niedergeschlagen hatte. Gebetbücher umfassen jeden Aspekt des jüdischen
Es fragte einerseits nach den Normen, in die die Lebens und sind daher das am häufigsten gedruckte
Emotionen eingebunden waren, die durch Tod und Buch im Judentum. Trotz ihrer Prominenz haben sie
Sterben ausgelöst wurden. Andererseits sollte ein kaum akademische Aufmerksamkeit erhalten, weil
Fokus auf die ethischen Implikationen, die hiermit sie als stabile Faktoren angesehen wurden, deren
verbunden wurden, gelegt werden. Dynamik der Analyse unwürdig sei. Zwar behielten
Als Quellengrundlage dienten dabei vor allem Gebetbücher eine gewisse Einheitlichkeit in Raum
Funeralschriften. Ein besonderer Reiz lag dabei in und Zeit bei, doch kleine Änderungen in den verschie-
der europäischen und zugleich konfessionsverglei- denen Ausgaben konnten die politische und kulturel-
chenden Perspektive: Lutherische Funeralschriften le Wahrnehmung einer bestimmten Ausprägung des
aus der Reichsstadt Nürnberg, solche aus dem Judentums in ihrem jeweiligen Kontext wesentlich
reformierten Basel sowie Quellen aus London und verändern.
Boston in Nordamerika sollten Aufschluss darüber Mit Hilfe eines digitalen Ansatzes möchte das Projekt
geben, ob sich im Umgang mit Tod und Sterben, diese Veränderungen analysieren und die Geschich-
auch angesichts wechselvoller Krisen im 16. und ten, die sie verbergen, interpretieren und erzählen.
17. Jahrhundert, Unterschiede erkennen lassen. 2018 und 2019 identifizierte Alessandro Grazi seinen
Oder kam es eher zu konvergierenden Entwicklun- gesamten Quellenkorpus in einem vielfältigen bib-
gen? Es zeigte sich, dass in allen Gebieten bestimmte liografischen Repertoire. Anschließend wählte er
Tugenden »sakralisiert« worden sind, aber dass es Quellen aus und bereitete sie für die digitale Phase
durchaus Unterschiede hinsichtlich der Schärfe des des Projekts vor. Die eigentliche digitale Phase be-
ethischen Anforde rungsprofils gegeben hat. Das gann im Jahr 2020 mit dem Hochladen, Transkribieren
Projekt hat Funeralschriften und Leichenpredigten und Korrigieren der Texte auf der OnlinePlattform
als Quellen für die Erforschung von frühneuzeitlichen EScriptorium. Im Jahr 2023 stellte Alessandro Grazi
Norm vermittlungen profiliert. die Transkription der Texte und die Auswahl der
Die Verschriftlichung der Arbeit wurde 2023 abge- Gebete und Elemente fertig, die digital analysiert
schlossen sowie das damit zusammenhängende werden sollen und arbeitete an der Verschriftlichung
Habilitationsverfahren erfolgreich beendet. des Buches.
24 IEG-Jahresbericht 2023 | Forschung