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DEN TOD INS LEBEN ZIEHEN.                         »MINHAG ITALIA«: DIE VERHANDLUNG
            VERGLEICHENDE PERSPEKTIVEN AUF DEN                DER JÜDISCHEN MODERNE IM
            PROTESTANTISCHEN UMGANG MIT DEM                   19. JAHRHUNDERT DURCH DAS PRISMA
            TOD ZWISCHEN DESAKRALISIERUNG                     DER ITALIENISCHEN GEBETBÜCHER
            UND RESAKRALISIERUNG (1580–1750)
                                                              Alessandro Grazi
            Benedikt Brunner                                  2018–2023
            Seit 2018                                         Institutionelle Förderung
            Institutionelle Förderung


                                                              Kann uns ein jüdisches Gebetbuch etwas über die
            Sanft und selig sterben: das Projekt erforschte die   jüdische Gemeinschaft, zu der es gehört, sagen?
            Hintergründe dieses Ideals und untersuchte, wie   Können wir es als historische Quelle nutzen? Ja,
            sich Sterben in der Lebenswelt der Menschen im    dieses Projekt ist davon überzeugt.
            früh neuzeitlichen Europa niedergeschlagen hatte.   Gebetbücher umfassen jeden Aspekt des jüdischen
            Es fragte einerseits nach den Normen, in die die   Lebens und sind daher das am häufigsten gedruckte
            Emotionen eingebunden waren, die durch Tod und    Buch im Judentum. Trotz ihrer Prominenz haben sie
            Sterben ausgelöst wurden. Andererseits sollte ein   kaum akademische Aufmerksamkeit erhalten, weil
            Fokus auf die ethischen Implikationen, die hiermit   sie als stabile Faktoren angesehen wurden, deren
            verbunden wurden, gelegt werden.                  Dynamik der Analyse unwürdig sei. Zwar behielten
            Als Quellengrundlage dienten dabei vor allem      Gebetbücher eine gewisse Einheitlichkeit in Raum
            Funeralschriften. Ein besonderer Reiz lag dabei in   und Zeit bei, doch kleine Änderungen in den verschie-
            der europäischen und zugleich konfessionsverglei-  denen Ausgaben konnten die politische und kulturel-
            chenden Perspektive: Lutherische Funeralschriften   le Wahrnehmung einer bestimmten Ausprägung des
            aus der Reichsstadt Nürnberg, solche aus dem      Judentums in ihrem jeweiligen Kontext wesentlich
            reformierten Basel sowie Quellen aus London und   verändern.
            Boston in Nordamerika sollten Aufschluss darüber   Mit Hilfe eines digitalen Ansatzes möchte das Projekt
            geben, ob sich im Umgang mit Tod und Sterben,     diese Veränderungen analysieren und die Geschich-
            auch angesichts wechselvoller Krisen im 16. und   ten, die sie verbergen, interpretieren und erzählen.
            17. Jahrhundert, Unterschiede erkennen lassen.    2018 und 2019 identifizierte Alessandro Grazi seinen
            Oder kam es eher zu konvergierenden Entwicklun-   gesamten Quellenkorpus in einem vielfältigen bib-
            gen? Es zeigte sich, dass in allen Gebieten bestimmte   liografischen Repertoire. Anschließend wählte er
            Tugenden »sakralisiert« worden sind, aber dass es   Quellen aus und bereitete sie für die digitale Phase
            durchaus Unterschiede hinsichtlich der Schärfe des   des Projekts vor. Die eigentliche digitale Phase be-
            ethischen Anforde rungsprofils gegeben hat. Das   gann im Jahr 2020 mit dem Hochladen, Transkribieren
            Projekt hat Funeralschriften und Leichenpredigten   und Korrigieren der Texte auf der Online­Plattform
            als Quellen für die Erforschung von frühneuzeitlichen   E­Scriptorium. Im Jahr 2023 stellte Alessandro Grazi
            Norm vermittlungen profiliert.                    die Transkription der Texte und die Auswahl der
            Die Verschriftlichung der Arbeit wurde 2023 abge-  Gebete und Elemente fertig, die digital analysiert
            schlossen sowie das damit zusammenhängende        werden sollen und arbeitete an der Verschriftlichung
            Habilitationsverfahren erfolgreich beendet.       des Buches.


























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